Dienstag, 24. November 2015
EM 2016 - Belgien auf dem Thron?!
Die EM-Gruppenaulosung steht vor der Tür. Auch wenn in den vergangenen Wochen bei so manchen Fußballspielen nicht der Sport im Vordergrund stand, wird die EM 2016 (wohl) in Frankreich stattfinden. Und sie wartet mit so vielen Teams auf wie nie zuvor. Trotz - oder gerade wegen - der hörbaren Kritik an dieser Ausweitung erwarte ich ein spannendes und sehr interessantes Turnier. Die Favoriten sind vielleicht noch zahlreicher als bei den letzten Europameisterschaften. Als da wären: Titelverteidiger Spanien, Weltmeister Deutschland, der Weltranglistenerste Belgien, Gastgeber Frankreich und die beste Nation der Qualifikation England. Außenseiterchancen besitzen zudem Italien, Portugal und Kroatien. Weitere Teams wie Wales oder Österreich sind zumindest für die ein oder andere Überraschung gut. Schon vor der Auslosung wage ich eine kleine Prognose:

Der kommende Europameister heißt aus meiner Sicht Belgien. Die führende Mannschaft der FIFA-Weltrangliste verfügt über sehr gute Einzelspieler in Hülle und Fülle. Eventuell fehlt noch ein wenig Erfahrung und nicht alle Stars sind derzeit in Topform, aber die Belgier haben das Potenzial und schon jetzt die Qualität, ein solches Turnier zu gewinnen.
Fraglich ist nur: Kann Belgien sein ganzes Können bei der Europameisterschaft auf den Platz bringen? Da ist auch die Position des Trainers entscheidend. Marc Wilmots hat bisher noch nicht allzu viel vorzuweisen. Allerdings hat er dieses Team, laut Statistik zur Zeit die beste Nationalmannschaft der Welt, geformt. Man darf gespannt sein, was die Belgier bei der EM im Nachbarland zeigen. Alles andere als das Halbfinale wäre mit Sicherheit eher eine Enttäuschung...

Top-Elf: Courtois - Meunier, Kompany (c), Alderweireld (Vermaelen), Vertonghen (Vermaelen) - Witsel, Fellaini (Nainggolan/Dembélé/Defour) - de Bruyne, E. Hazard - Lukaku, Benteke (Mertens/Origi/Batshuayi).

Wie man sieht: Es gibt noch einige vakante Positionen in der Startaufstellung des Weltranglistenersten. Insbesondere in der Offensive muss auch die Systemfrage gestellt werden. Zwei klassische Mittelstürmer, wie zuletzt getestet, oder doch nur einer, wie in der Qualifikation. Mit nur einer Spitze hätte Mertens mit Sicherheit gute Chancen auf die Startelf. Bei zwei Neunern könnte die Frage sein: Welcher Liverpooler (Benteke oder Origi) ist besser in Form beziehungsweise hat mehr Spielpraxis? Das Gleiche gilt für den zweiten Sechser. Fellaini war eigentlich immer Stammspieler bei Belgien. Bei Manchester United sieht das allerdings anders aus. Die Alternativen verfügen ebenfalls über Klasse und Erfahrung. In der Abwehr dürften sich Vertonghen, Alderweireld und Vermaelen um zwei Positionen streiten. Meunier könnte hingegen als offensiver Rechtsverteidiger gesetzt sein, da Vanden Borre bei Anderlecht derzeit kaum eine Rolle spielt. Im Tor sollte Courtois bis zur EM wieder fit und hoffentlich in Top-Form sein.

Stars: Eden Hazard (Chelsea), Thibaut Courtois (Chelsea), de Bruyne (Man City), Kompany (Man City).

Als Weltmeister wird Deutschland nach Frankreich reisen. Es ist selbstverständlich, dass das DFB-Team allein deshalb als Favorit gehandelt wird. Die Leistungen und Ergebnisse seit der WM lassen aber Zweifel aufkommen. Dennoch: Deutschland ist eine Turniermannschaft und verfügt über genug Erfahrung im Titelkampf. Der umfangreiche Pool an Spielern gewährleistet, ähnlich wie bei Belgien oder Spanien, einen sehr gut aufgestellten Kader. Wird dieser auch richtig zusammengestellt? Das hängt vom Trainer ab. Dieser hat, trotz aller Kritik, oft ein glückliches Händchen bei großen Turnieren bewiesen. Wenn der WM-Titel den Deutschen nicht zu Kopf gestiegen ist, sollte man sie auf der Rechnung haben.

Top-Elf: Neuer - Emre Can, Boateng, Hummels, Höwedes - Schweinsteiger (c), Kroos - Gündogan (Götze) - Özil (Götze), Müller, Reus (Götze).

Es gibt sehr viele Fragezeichen hinter dieser Aufstellung. Die einzigen, die ihren Platz sicher haben, dürften Neuer, Boateng und Müller sein. Gute Chancen dürfen sich außerdem Kroos und mit Abstrichen Kapitän Schweinsteiger sowie Hummels ausrechnen. Alle anderen Positionen sollten heiß umkäpft sein. Im Mittelfeld und Angriff mit Sicherheit ein Qualitätsmerkmal. Wobei: Sollte sich Löw doch für einen klassischen Mittelstürmer entscheiden, wird es eng. Einen Gómez in Top-Form kann man immer aufstellen, aber hinter seiner Nominierung steht auf Grund der vergangenen Jahre trotzdem ein Fragezeichen. Das große Problem des DFB-Teams bleiben die Außenverteidiger. Höwedes hat das bei der WM sehr solide gelöst, hat aber nicht die offensive Power, die es eigentlich braucht. Vielleicht stellt Löw doch noch auf Dreierkette um. Dann wird aber die Besetzung der Außen im Mittelfeld zum Vabanque-Spiel. Offensiv oder Defensiv? Eigentlich könnte man dort auch Schweinsteiger einsetzen, aber gibt sich der Kapitän dafür her? Man darf gespannt sein, wie das deutsche Team bei der EM auflaufen wird.

Stars: Manuel Neuer (Bayern), Thomas Müller (Bayern), Jérôme Boateng (Bayern), Toni Kroos (Real).

Wenn es um das Gesamt-Erscheinungsbild geht, ist Spanien nach wie vor das Nonplusultra. Nur: Haben die Iberer das WM-Trauma überwunden? Wurde der Generationswechsel zu spät eingeleitet und setzt del Bosque zu sehr auf die Stars bei den großen Titelgewinnen? Das alles wird sich bei der Europameisterschaft beantworten. Den Nimbus des unschlagbaren Dominators hat Spanien verloren. Im Land des Titelverteidigers gibt es aber so viele potentielle Nationalspieler, wie nirgendwo sonst.

Top-Elf: Casillas (c) (de Gea) - Carvajal (Azpilicueta), Sergio Ramos, Piqué (Javi Martínez), Jordi Alba - Busquets - Iniesta, Koke (Thiago), Fàbregas (David Silva), Isco (Mata) - Diego Costa (Morata).

Die Spanier sind auf jeder Position (mindestens) doppelt besetzt. Es ist fast ein Roulette-Spiel, eine Top-Elf zu benennen. Das fängt beim Torhüter an. Im Mittelfeld hat Spanien so viele Spitzenspieler zu bieten, dass es für mehrere Nationalmannschaften reichen würde. Die oben stehende Aufstellung ist also mehr als Vorschlag zu verstehen. In dieser Fülle von potentiellen Kandidaten könnte allerdings auch eine Gefahr bestehen. Trainer del Bosque wird gut daran tun, einige Reizpunkte zu setzen, um ein ähnliches Desaster wie bei der WM zu verhindern. In der Gesamt-Gemengelage ist es schwierig zu sagen, mit welcher Startaufstellung Spanien auftreten wird, schon die Kader-Nominierung wird spannend. Objektiv gesehen führt der Titel aber nur über die Iberer.

Stars: Andrés Iniesta (Barcelona), Sergio Ramos (Real), Cesc Fàbregas (Chelsea), Sergio Busquets (Barcelona).

Gastgeber Frankreich hat sich in den vergangenen zwei Jahren wieder zu einem Spitzenteam in Europa und der Welt gemausert. Das liegt nicht unbedingt an besseren Einzelspielern als zuvor, sondern eher daran, dass es Coach Didier Deschamps geschaftt hat, die guten Fußballer zu einem Team zu formen. Als Veranstalter der EM gehen die Franzosen mit einer ganz besonderen Motivation an den Start. Dass sie damit umgehen können hat die Grande Nation sowohl bei der EM 1984 (mit Michel Platini) als auch bei der WM 1998 (mit Zinédine Zidane) bewiesen. Ein solch großer Star fehlt der heutigen Mannschaft, zumal Franck Ribéry zurückgetreten ist. Das muss aber kein Nachteil sein. Frankreich hat jedenfalls Großes vor bei der Heim-EM.

Top-Elf: Lloris (c) - Debuchy (Sagna), Varane, Koscielny (Mangala), Evra (Digne) - Pogba, Schneiderlin (Cabaye), Matuidi - Griezmann - Giroud (Benzema), Lacazette (Martial).

Auch Frankreich hat noch einige Alternativen in der Hinterhand. Interessant könnte zum Beispiel die Entwicklung von Bayern-Spieler Kingsley Coman werden. Fraglich ist, ob Karim Benzema nach dem Skandal rund um seinen Kollegen Mathieu Valbuena tatsächlich noch das Vetrauen seines Nationaltrainer besitzt. Insgesamt hat auch Frankreich viele Topspieler zu bieten, nur eine Stufe unter dem Level Spaniens. Bei den Franzosen wird die Systemfrage interessant werden. In der obigen Aufstellung stehen viele Stürmer. Ob Deschamps so viele von Beginn an einsetzen wird, dürfte allerdings eher fraglich sein. Der Weltmeister 1998 gilt nicht unbedingt als Offensiv-Fanfatiker. Mit dem Publikum im Rücken ist und bleibt Frankreich einer der Favoriten.

Stars: Paul Pogba (Juventus), Antoine Griezmann (Atlético).

Das war schon überraschend: England spielte die beste Qualifikationsrunde aller Teams. Können die Three Lions das bei der Endrunde bestätigen? Eher nicht, ist man geneigt zu sagen. Ich denke, man sollte die Engländer trotzdem auf dem Zettel haben. Es gibt wieder eine Generation, die das Zeug zum Titel hat. Und was die Chemie innerhalb der Mannschaft betrifft, scheint Coach Roy Hodgson ein ganz gutes Händchen zu haben. Auf der anderen Seite wurde der britische Mutterstaat in den vergangenen 20 Jahren so oft als Geheimfavorit gehandelt. Mehr als das Viertelfinale (bei der Heim-EM 1996 das Halbfinale) sprang nie heraus. Das will England 2016 ändern.

Topelf: Hart - Clyne (Jones/Walker), Cahill, Stones (Smalling), Baines (Shaw/Gibbs/Bertrand) - Milner (Shelvey), Wilshere (Henderson) - Barkley (Oxlade-Chamberlain) - Rooney (c), Sterling (Walcott) - Kane (Welbeck).

Auch bei den Three Lions gibt es noch viele Fragezeichen in der Startaufstellung und bei der Nominierung. Ähnlich wie in Frankreich gibt es viele Spieler auf einem Level, die aber (noch) nicht über die Qualität verfügen, als unumstrittene Stammspieler zu gelten. Außer Kapitän Ronney, Torwart Hart und Abwehrchef Cahill ist so gut wie nichts sicher. Die Jungstars Stones, Wilshere (sofern fit), Barkley, Sterling und Kane dürften aber gute Chancen haben. Offen ist vor allem die Besetzung der Außenverteiger. Hier hat Hodgson, im Vergleich zu DFB-Trainer Löw, immerhin eine Menge Möglichkeiten. Insgesamt wird Engalnd mit einem homogenen Team aufwarten können und genug Alternativen auf der Bank haben. Ob die Klasse in der Spitze reicht, bleibt abzuwarten.

Stars: Wayne Rooney (Man United), Raheem Sterling (Man City).

Autor: Andreas Arens.